Unterhaltung für Kopf, Bauch und Herz: Im Interview mit Matthias Riedel-Rüppel, Intendant des Kleinen Theater Haar

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Intendant des Kleinen Theater Haar, Matthias Riedel-Rüppel

Das Haarer Jugendstiljuwel erfüllte in seiner Geschichte vielfältige Aufgaben: Es war Apotheke,
Bettenlager und Kino. Heute ist das Kleine Theater Haar das, was es immer sein sollte: ein Kulturhotspot mit einem vielseitigen Programm bestehend aus Musik, Schauspiel, Kabarett und ausgesuchten Literaturveranstaltungen. Eine beliebte regionale und lokale Größe für gemeinsame Verabredungen. Höchste Zeit für einen Plausch mit Intendant Matthias Riedel-Rüppel …

Lieber Herr Riedel-Rüppel, wir wollen über das Verhältnis der Bewohnerinnen und Bewohner des Münchner Ostens zur Kultur sprechen. Können Sie als Intendant des Kleinen Theaters eine Hitparade erstellen? Welche Bühnenstücke, welche Musik, welche Kulturform hören und sehen wir am liebsten?

Das ist ganz schwierig zu sagen. Der Auftrag des Theaters ist es, ein breites Angebot verschiedener Genres zu präsentieren. Und zum Glück ist es so, dass jedes Programm seine Anhänger hat. Das, was natürlich immer funktioniert, sind bayerische Kabarettisten. Ein Gerhard Polt, der im Dezember kommt, ist natürlich immer sehr schnell ausverkauft. Allerdings sind auch unsere Musicalangebote sehr beliebt. Im Bereich der klassischen Musik bieten wir ja auch einiges. Gerade die Konzerte des Tölzer Knabenchores in unserer Konzertkirche Maria Sieben Schmerzen sind Publikumsmagnete. Grundsätzlich kann man sagen, dass sich unsere Gäste niveauvoll unterhalten lassen wollen, ohne auf der Bühne weitere „Problemkultur“ zu erleben. Kultur bedeutet auch immer Ablenkung vom Alltag, der gerade derzeit ja viele Herausforderungen erlebt. 

 Sie sind seit vielen Jahren und aus unterschiedlichen Perspektiven Kenner der Kultur-Szene. Was hat sich seitdem verändert?

Die größte Herausforderung meiner kulturellen Arbeit waren sicherlich die letzten zweieinhalb Jahre mit all ihren Folgen für das Hier und Jetzt. Der Zugang der Menschen zum Theater hat sich verändert. Das beginnt mit dem Modus des Kartenkaufens. Die Langfristigkeit der Vorjahre ist einer Spontaneität gewichen. Veranstaltungen verkaufen sich gerne erst so richtig 10 Tage vor dem Termin. Das hängt sicherlich auch damit zusammen, dass unsere Gäste sicher sein wollen, dass Veranstaltungen nicht wieder abgesagt werden müssen. Es gibt halt eine große Unsicherheit. Viele Menschen haben sicherlich auch noch Angst davor, sich mit anderen Menschen in engen Kontakt zu begeben, aber Theater lebt nun einmal von der Begegnung, vom Sozialen und nicht von der Separierung.

Grundsätzlich lässt sich zur Kultur-Szene sagen, dass sie ungemein breit aufgestellt ist. Ich hoffe, dass wir – auch ausgelöst durch die Pandemie – in fünf Jahren nicht feststellen müssen, dass doch mehr Kulturbetriebe verschwunden sind, als wir es momentan zur Kenntnis nehmen. Ich finde es wichtig, dass auch im Kulturbereich jeder seine Nische findet.

Regelmäßige Besucher des Theaters kommen in den Genuss von besonderen Vergünstigungen

Das zusammen Lachen, das miteinander Agieren, das prägt einen Menschen in jedem Alter! Wie muss man das Programm ausrichten, damit auch junge Menschen regelmäßig Platz im Theater nehmen?

Für uns bedeutet das zunächst einmal, dass wir Programm für alle machen wollen. Die werberelevante Zielgruppe der Medien von 14 bis 49 Jahren ist für mich befremdlich, zumal ich damit seit dem letzten Jahr nicht mehr werberelevant bin.
Etwas Neues für uns ist ab der Spielzeit 22/23 die feste Zusammenarbeit mit Redmanns Münchner Märchenbühne, die eine klassisches Märchen-Familien-Theater bieten. Für viele Münchner Kindl gehört das Theater für Kinder in der Dachauer Straße zur eigenen Kindheit. Sie können dieses nun mit ihren eigenen Kindern – oder auch den Enkeln – bei uns in Haar erleben. 
Grundsätzlich ist es natürlich die Aufgabe der Theater, auch junge Menschen anzusprechen. Unser Programm-Mix bietet, glaube ich, eine ganze Menge. Für viele ist auch der „Feierabend im Theater“, den es jeden Mittwoch bei freiem Eintritt bei uns gibt, ein zweites Zuhause geworden. Hier können wir auch Gäste begrüßen, die keine typischen Theatergänger sind. Ich erlebe, dass damit auch eine gewisse Schwellenangst abgebaut wird. 

Das kleine Theater Haar steht seit mehr als 100 Jahren auf dem Klinikgelände des Isar-Amper-Klinikums München

Sie haben zuletzt auch mit der erfolgreichen Leitung des inklusiven Kulturfestivals „Zamma“, das heuer in Bad Aibling stattfand, ein Zeichen gesetzt. Was treibt Sie an?

Mir persönlich ist der soziale Aspekt der Kultur ein Bedürfnis! ZAMMA bietet die sagenhafte Möglichkeit, in einem Partizipationsprozess Menschen zusammenzubringen, die sich bisher nicht kannten und vielleicht eine gewisse Scheu voreinander hatten. Jedes ZAMMA-Projekt soll inklusiv, innovativ, vernetzt und bestenfalls nachhaltig sein. Hierbei ist es mir wichtig zu betonen, dass sich Inklusion für mich nicht nur auf die Schaffung gleicher Möglichkeiten für Menschen mit einer Behinderung bezieht. Es sollte gesellschaftlicher Konsens sein, dass sich die Menschen grundsätzlich auf Augenhöhe begegnen können, unabhängig von besonderen Merkmalen, Hautfarbe, Religion oder sexueller Orientierung. Ich liebe es, Menschen zusammenzubringen und dabei zu sein, wenn Neues entsteht. „Kultur ist gemeinsam zu wachsen, statt aufeinander herumzutreten“ hat René Esteban gesagt. Davon ein Teil zu sein, macht mich glücklich. 

ZAMMA ist seit 1980 fester Bestandteil der Kulturarbeit zur Förderung des kulturellen und sozialen
Miteinanders in den Regionen

Eine kühle Zurückhaltung oder gewisse Steifheit sucht man bei Ihnen trotz Ihrer norddeutschen Wurzeln vergebens! Ihr Griff zum Mikrofon ist stets höchst unterhaltsam. Würden Sie gerne auch mal als Darsteller „die Sau rauslassen“?

Hahaha, ich will einmal so sagen: Wer wollte mich davon abhalten? Ich habe das Haus, ich habe die Infrastruktur, ob jedoch Menschen kommen würden, ist fraglich. Django Asül hat bei seinem letzten Auftritt im Kleinen Theater Haar gesagt: „Die einzige Begrüßung, bei der man auch die nächsten zwei Stunden zuhören könnte“. Das hat mich fast geadelt.
Aber Spaß beiseite: Ich bin wirklich sehr, sehr gerne Gastgeber und möchte, dass sich meine Gäste wohlfühlen. Dazu gehört eine Begrüßung, ob an der Tür oder auf der Bühne. Mein „DienstTALK“ ermöglicht mir ja nach wie vor, auf die Bühne zu gehen, mich mit Menschen zu unterhalten und Themen zu besprechen, die ihnen wichtig sind. Ich mag das, auch wenn ich dann, wenn ich im Urlaub bin, zu einem sehr zurückhaltenden, schweigsamen Menschen mutiere. 

Worauf dürfen sich Ihre Gäste in der Herbst-/Wintersaison besonders freuen?

Es wird auf jeden Fall bunt! Ob mit dem ISAR-Indian Willy Michl, den Musical-Veranstaltungen und Theatergastspielen oder den Lesungen im Theatercafé. Auch für Kinder wird es viele Angebote geben. Mit dabei sind der „Bayerische Robin Hood“ oder Märchen im neuen und alten Gewand. Eine besondere Freude ist für mich die Inszenierung des Ensemble Persona von „Der Gott des Gemetzels“, die wir koproduziert haben und die auf Gastspielreise durch ganz Deutschland gehen wird.